Mit dem Eisbrecher zum Nordpol

Eigentlich gibt es am geografischen Nordpol nur wenig zu sehen. Dennoch zieht die Reise mit dem Eisbrecher zum nördlichsten Punkt der Welt Naturfreunde und Reiseabenteurer gleichermaßen in ihren Bann. Reisen zum Nordpol dauern von Murmansk aus beispielsweise gute zwei Wochen, sind jedoch alles andere als preiswert. Die einmalige Umgebung und der gewisse Kick, wenn sich der über 20 000 Tonnen schwere und bis zu 75 000 PS starke Eisbrecher durch das immer dicker werdende Eis nach Norden schiebt, machen die Reise zu einer intensiven und einmaligen Erfahrung. Damit die Schiffe diese gewaltigen Belastungen überhaupt aushalten können, besteht der Bug aus bis zu 50 Zentimeter dickem Stahl. Angetrieben werden diese außergewöhnlichen Expeditionsschiffe mit Uran, das den Brennstoff für die Atomreaktoren liefert.

Während sich die Schiffe so langsam, aber stetig immer weiter durch das Eis Richtung Nordpol schieben, hat man ausgiebig die Gelegenheit, sich der Faszination der arktischen Kälte hinzugeben. Soweit das Auge reicht, ist nur das bläulich schimmernde Eis zu sehen. Der stetige Wind, der über die Ebenen hinwegfegt, hat das Eis in bizarr und sur­real anmutende Hügel und Skulpturen verwandelt. 

Die Fahrt nach Norden wird immer wieder durch kleinere Ausflüge auf das dicke Eis unterbrochen. Eingehüllt in warme Anoraks stapfen Sie so durch die endlose Weite des Nordens, hören spannende Vorträge der mitgereisten Experten und haben mit etwas Glück auch die Möglichkeit, einen der wunderschönen Polarbären zu Gesicht zu bekommen. Um den Expeditionsreisenden die Schönheit der Umgebung möglichst eindrucksvoll nah bringen zu können, verfügen die Schiffe über mehrere Heli­kopter, die auf dem Achterdeck untergebracht sind. Bei einem Flug mit den Helikoptern bekommt einen guten Eindruck von den unglaublichen Ausmaßen der nördlichen Eisschicht.

Nach ungefähr sechs Tagen der Reise werden Sie bemerken, dass auf dem Schiff eine gewisse gespannte Nervo­sität Einzug erhält. Nun beginnt der Countdown, und die Reisenden drängen sich meist um das elektronische Posi­tionsbestimmungssystem, das langsam, aber unaufhaltsam immer weiter nach oben klettert: 87 Grad, 88 Grad, 89 Grad nördlicher Breite. Und plötzlich, ohne dass sich die umgebende Landschaft in irgendeiner Weise verändert hätte, hat man den nördlichsten Punkt der Erde erreicht: den 90. Grad nörd­licher Breite. In welche Richtung man von hier aus auch schauen mag, man blickt immer Richtung Süden.

Natürlich muss das Erreichen des geografischen Nordpols auch gefeiert werden. Sekt wird geöffnet, und einige Leuchtraketen steigen in den polaren Himmel. Was bei aller Freude über die Ankunft nachdenklich stimmt, ist die Erinnerung an die vielen mutigen Männer, die von Sehnsucht und Ehrgeiz getrieben im Laufe der Jahrhunderte auf dem Weg zum Nordpol ums Leben gekommen sind, oder aber den Punkt nur unter furchtbaren Strapazen erreichen konnten. Doch dieser Augenblick währt in der Regel nur so lange, bis das die Gangway des Schiffes heruntergelassen wird und Sie die Möglichkeit haben, den Nordpol selbst zu betreten. Sie stehen jetzt auf einer dicken Eisschicht, unter welcher der über 4000 Meter tiefe Arktische Ozean liegt. Nun beginnt die sogenannte ›Pol-Party‹. Die Länderflaggen aller mitreisenden Passagiere werden auf dem Schiff zwischen den Masten gehisst, und jeder kann diesen einma­ligen Augenblick auf seine Weise genießen. Während die einen einfach nur in Gedanken versunken über das Eis streunen, gönnen sich andere einen kleinen Imbiss, spielen Fußball oder tanzen zur Musik. Alle Reisenden vereint jedoch das Gefühl, etwas ganz Besonderes zu erleben und zum exklusiven Club derjenigen zu gehören, die den Nordpol selbst betreten haben.

Insgesamt um die fünf bis sechs Stunden bleiben die Schiffe auf ihrer Position, bevor sie sich dann wieder auf die beschwerliche Reise in Richtung Süden nach Murmansk machen. In der Stadt endet nicht nur die Fahrt zum Nordpol, sondern auch die große Reise durch die Arktis, welche wir im norwegischen Bergen begonnen haben. Tausende von Kilometern wurden dabei zurück­gelegt. Und eines steht fest: Wer einmal in den Bann der Arktis geraten ist, wird so schnell nicht wieder davon los­kommen.